Rietveld beginnt seine Tätigkeit als Möbelgestalter und wenn er sich auch in der Folgezeit zu einem anerkannten Architekten entwickelt, bleibt seine Ausbildung doch die eines Handwerkers. Seine Arbeiten sind elementar in der Struktur und essenziel in der Form, dabei lehnt er jeden Schmuck ab. Und gerade deshalb stimmt diese Art Einrichtungsgegenstände zu entwerfen, vollständig mit dem Denken überein, das die Gründer des Stijls zum Ausdruck bringen. Zwar sind die Voraussetzungen verschieden, doch drück sich Rietveld bei seiner Arbeit an Möbeln, im selben Zeichensystem aus, das die Maler und Architekten der Stijl-Gruppe anwenden, der er sich 1918 anschließt. In seiner künstlerischen Entwicklung bewahrte Rietveld einen stets hohen Qualitätsanspruch. Vor seinem „Rot-blauen-Stuhl“ hat Rietveld wenig entworfen. Der erste wichtige Gegenstand in Rietvelds Schaffen als Designer, ist der Stuhl von 1908 aus Eichenholz und Leder. Dieser Stuhl und auch der Schrank von 1911 weisen einen Einfluss von H.P. Berlage auf. Auch die Arts und Crafts Bewegung stellte für Rietveld in der Zeit seiner frühen Entwürfe ein fernes und abgeschlossenes Phänomen dar, nachdem sich Berlage selbst mit dieser Bewegung auseinandergesetzt hat und sie um neue Inhalte bereichert hatte. Eine weitere kulturelle Leitlinie lieferten die Arbeiten von Frank Lloyd Wright, vor allem die streng geformten Stühle haben Rietveld enorm beeinflusst. Ab 1916 experimentiert Rietveld mit völlig neuen konstruktiven Lösungen. Das Ergebnis ist eine Verbindung aus drei Leisten mit quadratischem Querschnitt, die er rechtwinklig übereinander- oder gegeneinanderstellt. Das Grundkonzept beruht auf diesen Elementen, die sich entlang der Achse verschieben lassen. Diese sogenannte kartesiansche Verbindung und die hinzugefügten Flächen, erhalten entscheidende Bedeutung für die Zukunft, nicht nur für Rietvelds Tätigkeit und sein Werk, sondern auch im Hinblick auf eine vollständige Definition der neoplastischen Ausdrucksmittel, die zu der Zeit noch nicht vollständig ausgeprägt waren. Nach dem Beitritt zur Stijl-Gruppe, befreit Rietveld den Stuhl von gewissen Elementen, reduziert den Maßstab und bemalt ihn, in den Primärfarben.
Diese Aufnahme zeigt Rietveld auf seinem neuen Sessel aus Vierkantleisten vor der Werkstatt an der Adriaan-van-Ostadelaan in Utrecht, umgeben von seinen Mitarbeitern. Die Datierung ist unsicher, doch dürfte das Foto, um 1917 aufgenommen worden sein; der Junge, der sich auf die Lehne stützt, ist Gerard van de Groeneken, späterer Assistent Rietvelds.
Quelle: Baroni D.: Ursprung des modernen Möbels - das Werk Rietvelds. Deutsche Verlags-Anstalt GmbH, Stuttgart, 1979
Das Werk von Gerrit Thomas Rietveld lässt sich in drei Phasen gliedern: Die erste, eng mit den künstlerischen Bewegung De Stijl verbunden, beginnt mit dem berühmten Rot-blauen-Stuhl und endet mit dem Bau des Schröder-Hauses in Utrecht (1924). Diese beiden Entwürfe haben Rietveld Ruhm begründet.
Die zweite Phase entspricht der internationalen Entwicklung in der Architektur. Nach dem Ende des Stijl schließt Rietveld sich dem Rationalismus an und wendet seine Aufmerksamkeit der sozialen Rolle der Architektur zu. Als Designer nimmt er die neuen Tendenzen auf und entwirft Stahlrohrmöbel.
Rietvelds dritte Phase ist bestimmt von der internationalen Anerkennung Ende der fünfziger Jahre, als seine architektonisch-künstlerische Bedeutung neu entdeckt wird. Seine Heimatstadt Utrecht widmet ihm 1958 eine Retrospektive, die über Holland hinaus lebhaftes Echo findet. Vor seinem Tode konzipiert Rietveld noch einiege städtebauliche Entwürfe.